Der Zufall hat in der Kunst schon immer eine Rolle gespielt, sei es durch einen unbeabsichtigten Pinselstrich oder einen verhauenen Stein. Bewusst wurde der Zufall in der Kunst aber erst im 20. Jahrhundert eingesetzt. Auslöser waren die Erkenntnisse von Sigmund Freud über das Unterbewusste, die er im Jahre 1900 in seiner Publikation über die Traumdeutung veröffentlicht hatte. Diese nutzten die Surrealisten für sich. André Breton verwies im Ersten Surrealistischen Manifest von 1924 im Zusammenhang mit der Écriture automatique konkret auf den Wiener Psychoanalytiker: "Die automatische Schreibweise und die Traumprotokolle bieten den Vorteil, einer hilflosen Kritik Erkenntniselemente großen Stils zu liefern und eine allgemeine Neuordnung der lyrischen Werte zu ermöglichen, sie können Schlüssel sein, die ad infinitum jene Truhe mit zahlreichen Böden öffnen, die sich Mensch nennt."
(zit. nach Thomas, 20.jh., S. 77)
Seither haben sich die unterschiedlichsten Künstlerinnen und Künstler des Zufalls bedient. Ob Max Ernst (1891-1976) mit seinen Frottagen, Henri Michaux (1899-1984) mit den Automatischen Zeichnungen unter Meskalineinwirkung, André Masson (1896-1987) mit Leinwandbildern in der Technik der Écriture automatique, später Jackson Pollock (1912-1956) mit seinem Action painting, aber auch Künstler, die im kinetischen Bereich arbeiten wie Otto Piene (*1928), mit dem Computer wie Monika Wehrenberg (*1942) oder Musik visualisieren wie John Cage (1912-1992).
Dr. Susanna Partsch
1992 widmete sich eine Ausstellung dem Thema Zufall und zeigte dabei die Bandbreite auf, bei der der Zufall als Prinzip eingesetzt werden kann, wobei auch immer der kontrollierte Zufall eine große Rolle spielt.
1983 begann Silvia Kirchhof bei ihren ersten getanzten Bildern, mit dem Zufall zu arbeiten. Bis 1989 perfektionierte sie die von Pièrre Cordiér entwickelte Technik: in Entwickler oder gefärbten Fixierer getauchte Schwämme band sie unter ihre eigenen Füße, später unter die von professionellen Tänzer/innen. Mit diesen präparierten Schwämmen wurde nach eigens dafür komponierter Musik auf großen Bahnen Fotopapier getanzt, das die Künstlerin mit Fett präpariert hatte. Die gestischen Spuren, die der Tanz hinterließ, bearbeitete Silvia Kirchhof anschließend weiter mit Fotochemikalien. Während des Tanzes hatte ein chemischer Prozess eingesetzt, der über die Jahre weiterhin wirksam wurde und die Bilder kontinuierlich veränderte.
Dr. Susanna Partsch